Entwerfen und Nachhaltiges Bauen

Nachhaltige Lichtwiesen

Artikel in der Zeitschrift VivArt

Darmstadt gilt als Wissenschaftsstadt, die TU als eine der renommiertesten technischen Universitäten des Landes. Mit Sanierungsprojekten investiert die TU in die Zukunft. Auf dem Campus Lichtwiese entstehen zahlreiche Neubauten, teils denkmalgeschützter Bestand wird im Hinblick auf Energieeffizienz umgebaut und saniert, wodurch optimale Bedingungen für Forschung, Studium und Lehre gewährleistet werden.

Seit Erlangung der Bauautonomie 2005 hat die TU fast 800 Millionen Euro in ihre Gebäude und Liegenschaften investiert. Die umfangreichen Sanierungsmaßnahmen haben das Gesicht der Universität deutlich verändert und die Bedingungen für die Studierenden, Wissenschaftler*innen und Beschäftigten nachdrücklich verbessert. Aktuell befindet sich der Fachbereich Architektur, dessen Gebäude 1969 erbaut wurde, bauabschnittsweise in der Sanierung. Bei laufendem Betrieb soll eine Sanierungsstrategie, die im Rahmen des Forschungsprojekts ›EnEff Campus Lichtwiese entwickelet wurde, bis 2030 umgesetzt werden.

Das Architekturgebäude wurde nicht von ungefähr als Fallstudie für das Forschungsprojekt ausgesucht. Es steht als Gebäude im Stil des ›Brutalismus‹ beispielhaft für eine wuchtige Bauepoche und auch für die intensivste Bauproduktionszeit in Deutschland. Es repräsentiert also einen besonders großen Teil des Baube-stands in der Republik, von dem heute erheblicher Sanierungsbedarf ausgeht. Der Energieverbrauch des Campus entspricht dem einer kleinen Stadt. Zusammen mit zwei gleichartigen Gebäuden geht auf das Konto des Architekturgebäudes rund ein Viertel des Wärmeverbrauchs auf der Lichtwiese. Im Kontext einer erfolgreichen Wärmewende ist deshalb die Sanierung der Gebäudehülle zur Reduzierung des Wärmebedarfs ein wichtiger Baustein. Die zweite Säule ist zukünftig die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung durch die effiziente Nutzung von regenerativen Wärmequellen und Abwärme.

Dass selbst das ungedämmte und denkmalgeschützte Architekturgebäude der Nachkriegsmoderne wärmepumpenkompatibel gemacht werden könnte, demonstrieren Dr. David Sauerwein und Niall Fitzgerald am Fachgebiet ›Entwerfen und Nachhaltiges Bauen‹ an einem Real-Labor. Durch die Integration von Niedertemperatur-Heizsystemen gelingt es, selbst an sehr kalten Wintertagen, die Vorlauftemperatur auf unter 45 °C abzusenken. Aktuell werden auf der Lichtwiese weitere Projekte realisiert. Hierzu gehören unter anderem die Sanierung des Maschinenbau-Institutsgebäudes und der Neubau des Center of Reliability Analytics (AMC). Die Transformation des Gebäudebestands und die Dekarbonisierung des Energieversorgungssystems ist eine der zentralen Herausforderungen, die in den kommenden Dekaden auf die Universität zukommt. Das Forschungsprojekt testet hierfür die ›Energiewende im Kleinen‹. Als wichtiger Baustein zum Erreichen der CO2--Neutralität bis spätestens 2045 wird aktuell ein Sanierungsfahrplan für den Gebäudebestand an der TU Darmstadt erarbeitet.




Staatssekretärin Messari-Becker zu Gast an der TU Darmstadt im Fachgebiet Entwerfen und Nachhaltiges Bauen

Am Dienstag, 11. Juni, war die Staatssekretärin des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum, Professorin Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker, an der TU Darmstadt zu Gast. Im Mittelpunkt des Austauschs mit Mitgliedern des Präsidiums im Wissenschaftsschloss standen die vielfältigen Beiträge, die die TU Darmstadt in Forschung, Lehre und xchange zur Gestaltung der großen Zukunftsaufgaben wie der Energie- und Mobilitätswende oder der digitalen Transformation leistet. Deutlich wurde auch die Bedeutung der Universität als Motor für die regionale Wirtschaft und als Nukleus eines lebendigen Ökosystems aus etablierten Unternehmen, Gründer:innen und erfolgreichen Start-ups.

Abschließende Station des Besuchs war das Forschungsprojekt „EnEff:Stadt Campus Lichtwiese“. Hier untersucht ein Team aus Wissenschaftler:innen und Mitarbeitenden aus den Bereichen Bau und Technischer Betriebe der Universität, wie die Energiewende auf Quartiersebene gestaltet werden kann. Christoph Kuhn, Professor für Nachhaltiges Bauen am Fachbereich Architektur und wissenschaftlicher Leiter des Forschungsprojektes skizzierte, wie Lösungen aus dem Projekt unmittelbar in die Anwendung überführt werden. So erläuterte er beispielsweise Maßnahmen zur effizienteren Wärmeversorgung in Bestandsgebäuden, die bei der laufenden Sanierung des Architekturgebäudes umgesetzt werden. Julia Barbosa, Mitarbeiterin im Teilprojekt „Digitaler Zwilling“, stellte Anwendungen dieses virtuellen Gesamtmodells des Campus-Energiesystems vor. Der digitale Zwilling soll langfristig die Möglichkeit bieten, die effiziente Energieversorgung der Universität mit Strom, Wärme und Kälte in Echtzeit zu optimieren.

Dr. David Sauerwein, Niall Fitzgerald und Prof. Christoph Kuhn veröffentlichen Artikel in „energies“ (MDPI) zur Temperaturabsenkung im Architekturgebäude

Wir freuen uns sehr, dass unsere Forschungsergebnisse im Rahmen des EnEff:Campus Lichtwiese Projekts in „energies“ (MDPI) veröffentlicht wurden. Die Temperaturabsenkung in Heizungsanlagen ist ein Schlüssel zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung im Gebäudesektor, denn sie ist ein Türöffner für eine stärkere Integration von erneuerbarer Wärme, die Nutzung von Abwärme und die Verbesserung der Kompatibilität von Wärmepumpen. Dies scheitert häufig daran, dass Heizungsanlagen im unsanierten Gebäudebestand in der Regel hohe Vorlauftemperaturen benötigen. Um zu untersuchen wie hoch das erreichbare Temperaturabsenkungspotential ist, wurde 2020 ein Demonstrator mit zwei unterschiedlichen Deckenheizungssystemen im denkmalgeschützten Architekturgebäude integriert und messtechnisch begleitet. Die Ergebnisse sind ermutigend, denn sie zeigen, dass bereits bei unsanierter Gebäudehülle eine deutliche Temperaturabsenkung auf unter 45 °C möglich ist, ohne die normativen Grenzen der thermischen Behaglichkeit zu überschreiten.

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Architektur als Synergie

Wir wollen in Lehre und Forschung dazu beitragen, das weit gespannte Feld der Nachhaltigkeit als selbstverständlichen übergeordneten integralen Aspekt des Bauens zu etablieren. Die Auseinandersetzung mit dem Gebäudebestand und seinem energetischen wie kulturellen Gedächtnis liegt hierbei besonders im Blickfeld.

Die Entwurfslehre vermittelt das Innovationspotential ökologisch relevanter Bedingungen als gestaltprägende Parameter der Architektur. Der Entwurfsprozess bildet dabei das dazu notwendige übergreifende Zusammenwirken unterschiedlicher Fachdisziplinen ab. Entwurfsspezifische Strategien zur Energiegewinnung, -speicherung und -einsparung im einzelnen Architekturobjekt wie im urbanen Verbund werden aus den Entwicklungslinien ursprünglicher autochthoner Architekturtypen abgeleitet und in den aktuellen Kontext transformiert.

Nachhaltiges Bauen ist nicht nur eine Frage der Technik

„Für die wahre ökologische Wende beim Bauen braucht es auch gute Architektur“, sagt Christoph Kuhn. Er ist seit 2013 Professor für Entwerfen und Nachhaltiges Bauen am Fachbereich Architektur.

Prof. Christoph Kuhn

Die Berücksichtigung des Ressourceneinsatzes zur Materialisierung des Gebauten, zu seiner Fügung, möglichen Veränderung oder Auflösung gehören ebenso in das komplexe Zusammenspiel einer Architekturkonzeption wie die sanfte Integration unterstützender Technologien. Wir denken Architektur als synergetisches System, das immer eine spezifische Antwort auf die jeweilige Aufgabenstellung geben muss. Synergie bedeutet hierbei architektonischer Ausdruck einer dynamischen Balance, die ihre Wirkung in einem menschlich begreifbaren Rahmen zwischen Vergangenheit und Zukunft organisiert.
Für die Forschung bietet das Fachgebiet in diesem Sinne eine experimentelle Plattform, auf der wir mit kreativen Partnern neue Wege jenseits des Anerkannten erfinden, testen und nutzbar machen möchten.